Der Stereo Kompressor Fairchild 670, Abb.1 ist schlicht gesagt, der schwergewichtige “Holy Grail” der/aller Kompressoren. Seine Konstruktion erfolgte Anfang der 50er Jahre und ist schlichtweg genial! Ca. 30 kg wiegt der globige, etwas vorsintflutlich ausschauende Bolide! Das kommt aber nicht von ungefähr, arbeitet die Kiste doch mit Röhren und von denen auch nicht zu wenig – 15 Stück! Und erst die feinen Übertrager und Transformatoren – gleich 13 Stück davon! Da kommen natürlich schnell 30 kg zusammen. Es wird auch klar, dass nicht gekleckert wurde, sondern so richtig geklotzt – wie, sehen wir noch. Das alles hatte damals schon seinen Preis – knapp $2000. Damals, in den frühen 50ern, wo eine Gibson Les Paul noch $300 kostete; ja selbst das Flaggschiff Super 400, die Gitarre, welcher Frühzeit-Rocker Scotty Moore, Elvis´ Gitarrist, spielte, war noch für etwas unter $450 zu haben. Heute zahlt man für einen Einsatz bereiten Fairchild 670 vorne weg $30.000 ... wenn das ´mal ausreicht! Preiswerter geht’s natürlich im DSP-Zeitalter mit der entsprechenden Software – und so klingt es dann auch oft...!>

Signalstufe

Die Signal verarbeitende Stufe ist so einfach wie genial, und wie alle (zumindest die meisten) genialen Dinge ist ihre Faszination (auch) in ihrer Einfachheit begründet. Die Stufe ist eine schlichte Gegentakt Class-A Stufe mit Übertrager bestückten Signal Ein- und Auskopplung, Abb.2. Betrachten wir uns zunächst die verwendeten Röhren der Typenbezeichnung 6386, eine Twin-Triode. Dabei handelt es sich, schon vorweg genommen, um einen hochwertigen Industrietyp – keine Konsumerware! Pro Gegentaktzweig sind zwei Trioden Systeme parallel geschaltet. Es bildet sich so eine virtuelle Einzeltriode mit der doppelten Verlustleistung sowie halbem Innenwiderstand, man könnte sagen, ein kleine 1-Watt Mini-Trioden-Endstufe. Und schon befinden wir uns im esoterischen High-End Sektor mit all den Diskussionen über Trioden Endstufen nebst ihren Vorzügen gegenüber den Beam-Tetroden/Pentoden-Endstufen Konzepten. Daran wollen wir uns heute aber nicht beteiligen. Jetzt haben aber die verwendeten Röhren mit der Bezeichnung 6386 eine Besonderheit: Es handelt sich um einen sogenannten “remote-cutoff” Typ. Das ist eine Röhre mit einer ganz besonderen Kennlinie, nämlich eine, welche speziell für Regelungsaufgaben "gezüchtet" wurde. Dafür wurde das Gitter eines solchen Röhrentyps speziell gewickelt. Bei normalen Röhren ist der Gitterdraht über die Gitterstrecke mit konstanter Steigung gewickelt, bei Regelröhren werden die Windungen zur Mitte hin mit größerer Steigung ausgeführt – sind also weiter auseinander als in ihren Randbezirken. Als elektrisches Ergebnis dieser mechanischen Besonderheit entsteht eine mehr fortlaufend gekrümmte Übertragungsfunktion der Röhre. Mittels einer simplen Arbeitspunktverschiebung (Variation der Kathoden-Gitter-Spannung) kann dann die Röhre von einer niedrigen Verstärkung in eine höhere gesteuert werden oder umgekehrt. Von daher ist dieser Röhrentyp speziell für eine Verstärkungsregelung prädestiniert. Insbesondere Pentoden (aber auch Heptoden) mit dieser Art von Kennlinien sind in der klassischen Rundfunk- und Fernsehtechnik zum Einsatz gekommen, auch dort mussten Regelungsaufgaben realisiert werden.
Die Steuerspannung für die Verstärkungsregelung wurde von einem aufwendigen Verstärker erzeugt und einfach in den Eingangs Übertrager eingespeist – simpel und enorm wirkungsvoll. Bei einer Verstärkungsregelung hat man nämlich prinzipiell das Problem, dass zwei getrennte Schaltkreise miteinander verkoppelt werden. Dabei hat die Steuergröße meist eine Form, welche sich nicht direkt in den Verstärker einspeisen lässt, ohne dessen Ruhe-Arbeitspunkt negativ zu beeinflussen. In späteren Jahren (Anfang der 70er) erfolgte die Kopplung über Optokoppler, neuzeitlich mittels OTAs. Jedenfalls erfolgte hier die Kopplung zeitgemäß über einen Gegentakt-Übertrager, der eine perfekte galvanische Potentialtrennung zwischen der Regelungselektronik und dem Verstärker gewährleisten. Man war auch an dieser Stelle aus einem weiteren Grund zur Konstruktion eines Gegentakt-Systems gezwungen. Bei einer Einzeltakt Lösung entstünde nämlich eine Gleichstrom-Vormagnetisierung der Trafo-Bleche, welche dann – insbesondere im Bassbereich, dem Signal übel bekäme. Bei einer Gegentakt Anordnung heben sich die beiden Teil-Vormagnetisierungen – entstanden durch die Ruheströme der Röhren, welche durch die beiden Übertrager Spulenhälften fließen, jedoch gegenseitig auf und alles ist bestens! Um Röhrentoleranzen auszugleichen, verfügt der Schaltkreis über eine raffinierte Doppel-Balance Differential-Einstellung in der Kathode der Röhren gelegen. Alles in allem eine prinzipiell einfache, aber doch raffinierte Signalbearbeitung, wobei der Teufel auch hier sicherlich im Detail steckt...

Regelungsverstärker

Hier schöpfte man so richtig aus dem Vollen! Analysieren wir den Regelungsverstärker, sehen wir einen perfekten kleineren Vollverstärker in hoher Perfektion. Allein schon die Röhrenbestückung ist allererste Sahne. Im Eingang die neue, schon fast HiTech-mäßige 12AX7 – nicht vergessen, wir sind in den frühen 50er Jahren, die globigen Oktal-Röhren wie z.B. 6SL7 oder 6SN7, sind noch Standard. Hier wird nun im eigentlichen Sinne der Treshhold-Level generiert. Dazu wird einfach der Arbeitspunkt (= Kathodenvorspannung) der 12AX7 Triode verändert. Normalerweise ist der Arbeitspunkt hier so gelegen, dass die Röhre sperrt (cutoff Betrieb). Ab einem bestimmten Pegel, wenn die Signalspitzen vom Betrag her diesen Arbeitspunkt überschreiten, steuert die Röhre durch – fertig! Unterhalb dieser Schwelle reagiert die Triode nicht und die Signalverarbeitung bleibt gesperrt. In Wirklichkeit ist jedoch dieser Übergang fließend und nicht abrupt – übrigens viel weicher als bei einem Halbleitersystem, welches ja prinzipiell eine andere Kennlinie besitzt. Verstärkt wird die so erzeugte Spannung mit einer 12BH7 – ich sehe schon die HiFi Freaks große Augen bekommen. Man kann diesen Typ als aufgepowerte ECC82 (=12AU7) begreifen und findet Anwendung zB. in dem sagenumwobenen größeren McIntosh HiFi-Röhrenboliden (MC-260 & MC-275, letzterer mit KT-88 Endröhren) als Powertreiber oder den alten Ampeg SVT. Die 12BH7 besitzt einen sehr geringen Innenwiderstand sowie eine recht hohe Anodenverlustleistung von 3,5W je System und ist von daher besonders befähigt, (dicke) Endröhren deftig anzusteuern. Gleichzeitig gelangt über die Kathoden der 12BH7 ein Gegenkopplungssignal, das von einer separaten Wicklung des Ausgangs Übertrager generiert wird – welch ein Luxus, und das in einem Regelungsverstärker. Und dann die Endröhren!! Die Beam-Power Tetrode 6973! Es gibt im HiFi/ HighEnd Sektor wohl kaum eine Röhre der 12Watt Klasse, die das Signal feiner verarbeitet als dieser speziell gezüchtete Typ. Er wurde früher recht häufig in amerikanischen Juke-Boxes eingesetzt und ist heute leider vom Markt verschwunden, aber hie und da kann man noch Posten im US- Ebay ersteigern.
In den 80ern des letzten Jahrhunderts habe ich mir eine kleine Stereo-Röhrenendstufe (2x 22Watt) entworfen und mir dabei recht lange Zeit gelassen bei der Wahl des Endröhren Typs bzw generell der Röhrenbestückung. Ich habe letztendlich aber nicht nur nach “Aktenlage” mit Zirkel & Lineal entschieden, sondern verschiedene Typen auch hardware-mäßig akustisch durchgetestet.
Ergebnis: An die 6973 kam keine ran – insbesondere Live-Aufnahmen klangen damit unerreicht luftig mit silbrig glänzenden, geschmeidigen Höhen sowie straffem, präzise akzentuiertem Bass. Die bekannte EL 84 (weniger “kritisch” verhielt sich zB die recht gute, aber hier zu Lande unbekannte 6CM6) im Vergleich war weniger spritzig, im Bass nicht griffig genug und eher verhalten, so, als hätten die Elektronen eine Eisenkugel am Bein. (Die Bestückung meiner kleinen Stereo-Endstufe ist pro Kanal: ECC808, 5814A und 6973 Duett, Class-AB, Betriebsspannung Anode: 350Volt, Schirmgitter: 290Volt). Jedenfalls ist mir der Röhrentyp 6973 geläufig und ich kann ihm aus persönlicher Erfahrung feinste akustische Signalverarbeitung attestieren. Zurück zum Fairchild. Jetzt könnte man hier allerdings schon fast davon reden, Perlen vor die Säue geworfen zu haben – aber wir erinnern uns: Die Kiste kostete damals so viel wie sechs oder vielleicht sieben (!) Les Pauls!! Da kann man dann auch mal richtig hin langen – was sie ja dann auch getan haben! Im Anschluss an den Ausgangsübertrager wird das Signal mittels den damaligen HiTech, den neuen Halbleiter-Dioden, mittels Graetz-Brücke gleichgerichtet. Am Fußpunkt der Brücke wird noch eine Gleichspannung zugeführt, um den Ruhe-Arbeitspunkt des zu steuerndes Verstärkers (siehe vorheriges Kapitel) zu wählen. Durch Zuschalten sechs unterschiedlicher Zeitkonstanten (= verschiedene RC-Glieder) kann das Attack/ Release der dynamischen Regelungskennlinie beeinflusst werden. Dann wird es direkt als Steuerspannung auf den Eingangsübertrager der Signalstufe, wie bereits beschrieben, geführt – fertig ist die Regelungssschleife!

Weitere Details

Gespeist wird das alles von einem HiTech-Netzteil. Die positiven Betriebsspannungen, mit Ausnahme der Anodenspannungen der 6973 & 12BH7, sind mittels elektronischer Regelung stabilisiert – wow! Als Power-Röhre für die Längsregelung dient eine als Triode geschaltete EL34. Ein separates Netzteil für die negativen (Hilfs-)Spannungen kommt des geringen Strombedarfs wegen ohne Regelung aus. Übrigens, der renomierte englische Trafohersteller Sowter (http://www.sowter.co.uk) bietet mittlerweile alle vier Signalübertrager als Replacements an, einem Nachbau des Fairchild 670 stünde also von daher nichts im Wege.

Back to the future

Na ja, wir sehen also, dass bei dem Fairchild 670 es eigentlich (wieder) nix ist mit Mystik. Sehr solide Arbeit, durchdachtes Schaltungsdesign, feinste Komponenten – das Beste seiner Zeit. Und trotzdem rätseln die Techniker, bewaffnet mit feinsten neuzeitlichem HiTech-Kram an den Messergebnissen über dieses Gerät rum. Ein jeder attestiert dem Fairchild als akustische Quintessenz feinste Audioqualitäten, ohne dass die generierten Zahlenkolonnen dies auch nur annähernd adäquat repräsentieren würden. Ja, das ist schon schlimm in einer Technik orientierten und vor allem Technik gläubigen Zeit, wo man daran gewöhnt ist, dem Gegner gedruckte Zahlen um die Ohren schlagen zu können – und dann so was. Ergebnisse, die man mittels eigenen Sinnen “fühlen” kann, es aber keine “künstlichen” Zahlen dafür gibt.
Wir sind halt noch nicht so weit – das ist alles! Wir sind erst am Beginn der Zukunft, aber noch nicht mitten drin. Die neue Zeit hat erst soeben begonnen. Demokratie, Kranken- & Rentenversicherung, freie Meinungsäußerung, Gleichberechtigung & Frauenwahlrecht, Elektro- & Raketenmotor ... – ja, das alles sind Dinge, die es eben noch nicht seit 1000 Jahren gibt. Und solange das Energie fressende Relikt Glühlampe noch als Selbstverständlichkeit mitten unter uns weilt, so lange sind wir eben noch nicht in der Zukunft angekommen, das ändert auch ein Plasmabildschirm oder Handy nicht wirklich. Zwischenzeitlich sind wir zwar in der Lage, Altes allerfeinst zu kredenzen und/oder alljährlich auf den Messen neu zu erfinden, wie etwa das Automobil – jeder erdenkliche Schnickschnack ist drin, aber letztendlich ist deren Antrieb immer noch geprägt von prähistorischem Ventil- & Kolben Geklapper. Nein, Zukunft sieht anders aus und wird auch anders aussehen. Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt doch unsere Fantasie, dargestellt in Science-Fiction Machwerken. In der Zukunft angekommen, werden wir dann aber auch wissen, wie Meister Stradivari seine wahrhaft einzigartigen, lieblich klingenden Geigen designte oder, mit Blick auf das heutige Thema, der Fairchild seinen unnachahmlichen Sound erzeugt – heut zu Tage beißen sich da halt noch die Wissenschaftler nebst tonnenschwerem Mess & Computer-Equipment, die sich der Lösung dieser Problematik verschrieben haben, die Zähne an solchen alten technischen Kunstwerken aus. Die Zukunft scheint also nicht leicht zu bekommen zu sein, da ist noch viel Grundlagenforschung und Verständnis der Physik – aber auch die der Menschen, von Nöten. Da reicht ein nüchterner DSP eben nicht aus, der kennzeichnet allenfalls nur den Anfang der Zukunft.
Ich jedenfalls bin zuversichtlich, dass all diese kleinen Dinge eines Tages enträtselt sein werden. Sicher, erleben werden ich und meine Generation das aktiv wohl eher nicht mehr. Aber zwischenzeitlich begnüge ich mich mit dem Gedanken an das existierende physikalische Original – das regt wenigstens noch zum Träumen an. Was wäre das denn für eine Welt, wenn es nicht nur wie heute schon auf alt gemachte “Relic”-Gitarren gibt, sondern die auch noch mittels mystisch-futuristischer Apparatur so aufbereitet würden, dass das Ergebnis dann auch noch wie eine alte 1959er Les Paul klänge. Und ein Jeder hätte dann so was – wo bleibt denn da der kreative lebendige Individualismus, auf den wir schon heute von der mit Jugendwahn durchseuchten Werbung Tag ein, Tag aus, eingeschworen werden.
Und wenn die HiTech-Jungs in der Zukunft ihre Hausarbeiten brav erledigt haben, klingen auch die Software-Varianten des Fairchild 670 wie das klassische Hardware-Original aus UrUr-Großvaters Zeit. Da bin ich mir ganz sicher! Aber vor dem Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt!

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